Bilder Aufbau Edmond
Februar 2020 im Innenhof des Museums. 30 Tonnen Sediment und Dinosaurier­knochen liegen an Ort und Stelle. Die Künstlergruppe YRD.Works steckt den Rahmen des Ausstellungs­gebäudes ab.

Edmonds Urzeitreich liegt jetzt in Frankfurt


So etwas gab es noch nie. Alle Beteiligten betraten Neuland. Und alle sind begeistert dabei – voller Engagement und Hingabe. Senckenberg-Projektleiter Philipe Havlik, bei dem einfach alles zusammenlief, und Franziska Nori, die an der Schnittstelle Wissenschaft–Kunst die Fäden spann, erzählen von den Herausforderungen dieses außergewöhnlichen Ausstellungsprojekts.

Die Idee zu dem Ausstellungsprojekt Edmonds Urzeitreich wurde bei einem Treffen zwischen Vertretern der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung und Burkhard Pohl, dem Gründer des Wyoming Dinosaur Center, im Januar 2018 geboren. Dabei entstand das Konzept, eine komplette Dinosaurierfundstelle am Stück nach Frankfurt zu transportieren und die Knochen vor den Augen der Besucher freizulegen. Durch jahrelange Grabungstätigkeiten in Wyoming wusste Pohl, wo ein dafür geeigneter Gesteinsblock zu erwarten sein könnte. Und so kam es, dass nach Prospektionen in den Jahren 2018 und 2019 dann im Juli 2019 sozusagen eine komplette Fundstelle mit einer Grundfläche von rund 20 Quadratmetern geborgen und dann in „handlichen“ Stücken nach Frankfurt verschifft wurde. Die hierfür erforderliche Technik musste eigens entwickelt werden, so etwas hatte ja zuvor noch niemand gemacht.

Der dreißig Tonnen schwere Sedimentblock wurde im Außenbereich des Museums wieder zusammengefügt. Darin befinden sich unzählige einzelne Knochen, vor allem des Entenschnabeldinosauriers Edmontosaurus. Um die Funde einschätzen und die Umweltverhältnisse vor rund 70 Millionen Jahren rekonstruieren zu können, haben Wissenschaftler*innen der SGN und langjährige Kooperationspartner bereits Proben und Knochen aus dem Bonebed untersucht. Auch dies wird in der Ausstellung aufgegriffen.

Die aufwändige Geländearbeit wurde exklusiv von National Geographic begleitet. Jonas Eiden und Janosch Boerckel waren im Gelände unmittelbar dabei und hielten alles mit ihren Fotoapparaten und Videokameras fest.

Edmontosaurus Ankunft
Nach einer stürmischen Fahrt über den Atlantik steht der Container endlich im Hinterhof des Senckenberg Forschungsinstituts Frankfurt.

Was verbindet Wissenschaft und Kunst im Projekt Edmonds Urzeitreich?

Die Faszination, die Geologie und Paläontologie ausüben, entspringt aus ihrem Verweis auf eine Zeit, in der die Erde so unvorstellbar anders war, aus der sich aber dennoch die Grundlagen unseres heutigen Lebens und der Umwelt, in der wir jetzt leben, entwickelten. Es sind Erzählungen von einer mächtigen Natur ohne jegliche menschliche Präsenz. Es sind die Spuren einer Vergangenheit, die auf ein längst verschwundenes Prinzip von Leben verweisen, eingeschrieben in die Schichtungen unserer Erde. Durch das Zusammenspiel von Wissen, Können und Techniken, kann längst Verschwundenes sichtbar gemacht werden, um neue Bedeutung zu schaffen.

Und hier können sich Wissenschaft und Kunst ergänzen. Die Kunst hat das Potenzial, in abstrakteren, freieren Bezügen zu formulieren, Fragen nach dem großen Ganzen zu stellen und über die Präzision der Disziplinen hinaus die Verbindung zwischen dem Mikro- und dem Makroskopischen wiederherzustellen. Und so ist es auch kein Zufall, dass der Frankfurter Kunstverein und das Senckenberg Naturmuseum erneut als Partner gemeinsam an einem innovativen Ausstellungsformat arbeiten.

Der Pavillon als Modell

YRD.Works
YRD.Works
YRD.Works
YRD.Works

Wissenschaft und Kunst berühren sich

Mit der Ausstellung „Edmonds Urzeitreich“ wird ein weiterer Schritt getan hin zu der Erkundung neuer Präsentationsformen und der Erfahrbarkeit komplexen Wissens. Beide Institutionen vereint die Motivation, andere Wege einer umfassenderen Vermittlung zu beschreiten. Wie können Forschungsergebnisse, Fakten und Daten, vielschichtiges Detailwissen erzählt werden, damit diese von Menschen in einen Bezug mit der eigenen Existenz gesetzt werden können? Wie können Exponate ihre Geschichte erzählen, sodass dadurch ein verändertes Denken von Welt entsteht? Um diesen Fragen nachzugehen, hat der Frankfurter Kunstverein das Künstlerkollektiv YRD.Works eingeladen, einen temporären Ausstellungsraum zu entwerfen, der anders als das klassische Naturmuseum funktioniert. Die Architektur von YRD. Works setzt ein unfertiges Exponat ins Zentrum, das seinem originären Umfeld entnommen wurde. Entstanden ist ein Raum um Rohmaterial – um ein 30 Tonnen schweres Grabungsfeld aus Wyoming.

Neues Framing für die uralten Knochen

Mit der Arbeit von YRD.Works erhalten Exponate eine neue Rahmung (framing), eine räumlich gestaltete Projektionsfläche, auf der sie ihre Bedeutung neu entfalten können. Es ist nicht das fertige Exponat, das paläontologische Skelett, das in einer inszenierten Form präsentiert, zum Protagonisten wird. Es ist der Prozess wissenschaftlicher Arbeit, die Forscher*innen und deren Arbeitsweise, deren Instrumente und deren Können. Expert*innen und Betrachter*innen teilen einen Raum, in dem sie die Transformation von Grabungsmaterial zum Exponat gemeinsam erleben können. Wir heben die traditionelle Trennung zwischen Exponat und Rezeption, zwischen der Vitrine und den Betrachter*innen auf! Konzipiert wurde die Interpretation eines White Cubes, eines weißen Quaders. Die temporäre Architektur entstand über Module, aus Wänden, Rampen und Böden und erlaubt vielfältige Betrachtungsachsen und Durchblicke. Der Bau legt keinen Wert auf Hierarchien und regt die Partizipation an, indem unterschiedliche Zugangsmöglichkeiten und Perspektiven auf einen Themenbereich gleichzeitig ermöglicht werden.

YRD.Works
Innenansicht des fast fertiggestellten Pavillons. Hinten im Bild ist das Bonebed zu sehen.

Der Edmontosaurus im Museum

Das Projekt Edmonds Urzeitreich ist in dieser Form beispiellos. So wurden wir im Laufe der Umsetzung immer wieder mit unvorhergesehenen Herausforderungen konfrontiert. Neben der eigens entwickelten Grabungstechnik und den Schwierigkeiten, im dünn besiedelten Wyoming Ersatzteile für Spezialmaschinen zu bekommen, stellte insbesondere das Gewicht der Gesteinsblöcke Anforderung an die Statik, die ein Gebäude kaum erfüllen kann. Aus diesem Grund war es notwendig, die Grabung in den Außenbereich des Museums zu verlegen, aber gleichzeitig Bedingungen zu schaffen, dass Besucher*innen wie Mitarbeiter*innen vor der Witterung geschützt sind. Das Bauwerk von YRD.Works, das in Abstimmung mit dem Frankfurter Kunstverein umgesetzt wurde, musste hierfür ein aufwändiges Genehmigungsverfahren durchlaufen und allen Anforderungen an Brandschutz und Sicherheit Genüge tragen. Parallel dazu erforderte der Einsatz verschiedenster, schwerer Maschinen bei fast allen Arbeitsschritten auch einen erheblichen organisatorischen Aufwand – der nur dank des unermüdlichen Einsatzes aller Beteiligten zu schaffen war. Mehr als 100 Personen arbeiteten Hand in Hand, sei es als Ausgräber*innen in Wyoming, als Wissenschaftler*innen bei der Untersuchung der Proben oder als Handwerker*innen bei der Umsetzung der Ausstellung in intensivem Austausch mit Gestalter*innen, Künstler*innen und Grafiker*innen.

Dieses persönliche Engagement spiegelt sich auch im Konzept wider: Die Besucher*innen betreten eine paläontologische Präparationswerkstatt, stehen plötzlich im unmittelbaren Dialog mit den Präparator*innen und Wissenschaftler*innen.

Die Autoren

Prof. Franziska Nori leitet seit November 2014 den Frankfurter Kunstverein und kuratierte zahlreiche Ausstellungen an der Grenze zwischen Kunst und Wissenschaft, darunter 2019–2020 „Trees of Life – Erzählungen für einen beschädigten Planeten“ in Kooperation mit Senckenberg. Seit 2011 ist sie Professorin für Museologie und kuratoriale Praktiken zeitgenössischer Kunst an der Marist University Lorenzo de’ Medici.
Philipe Havlik arbeitet seit 2002 an der Schnittstelle zwischen Forschung und Öffentlichkeit. Er entwirft und betreut Ausstellungen am Senckenberg Naturmuseum Frankfurt. Dabei legt der Wirbeltierpaläontologe Schwerpunkte auf Themen, die unsere erdgeschichtliche Vergangenheit erlebbar machen. In diesem Zusammenhang leitet er auch das Edmontosaurus-Projekt.